Barbara Kiener - «Sennentuntschi – ein Rachegeist»
05. September bis 22. Oktober 2025
«Sennentuntschi - ein Rachegeist»
Sie ist weich und unbeugsam zugleich und vermag Fantasie in Realität aufzulösen: Das Sennentuntschi ist tief in der alpinen Erzähltradition verwurzelt. Das Sennentuntschi entstammt der alpinen Erzähltradition – und spricht mit erschreckender Deutlichkeit von unserer Gegenwart. Barbara Kiener gibt ihr im Kunstraum Satellit den ganzen Raum. Barbara Kiener inspirieren heimische Traditionen und ursprüngliche Brauchtümer. In ihrer aktuellen Ausstellung setzt sie sich mit der Erzählung des Sennentuntschi auseinander. Das Sennentuntschi ist eine Puppe, geschaffen von isoliert lebenden Hirten in den hochgelegenen Alpen. Sie leistet ihnen Gesellschaft, ist Begleitung und Zuhörerin, Projektionsfläche für die Fantasien und Begierden der Männer. Der Spass nimmt ein abruptes Ende, wenn die Puppe lebendig wird und sich zu rächen beginnt.
Im Kunstraum Satellit ist das Sennentuntschi ihre eigene Gesellschaft: Raumgreifend beansprucht sie den Ort für sich. Sie ist pink, eine Mischung aus den Farben, die für höchste Gefahr und Unschuld stehen, für Wut und Perfektion, für Leidenschaft und Tod. Ihre «Haut» besteht aus dehnbarem Textilstoff, der mit eigenen Stoffbändern zusammengehalten ist – genäht, geknüpft, fast wie eine provisorische Reparatur. Flicken, Fragmente, Spuren: sie trägt ihre Haut wie ein offenes Manifest, stolz, ungeschönt. Ob sie die Hautfetzen präsentiert, die sie aus Rache ihren Peinigern abzog, wie es in der Sage heisst? Barbara Kiener macht das Sennentuntschi zum Symbol des Widerstands. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit Verletzlichkeit und Wandel sowie mit der Kraft, die daraus erwächst. Ihre überdimensionierte Form verweigert sich der Anpassung, sie fordert Raum – physisch wie diskursiv.
Barbara Kiener konfrontiert uns mit lang tradiertem Brauchtum, die wir vielleicht nur mehr aus popkulturellen Referenzen wie dem Film Sennentuntschi (2010) von Michael Steiner kennen und bringt diese in den urbanen Raum. Höchst aktuelle Themen wie Einsamkeit, Isolation, die Erschaffung von Parallelrealitäten zur Legitimierung von Akten der machthabenden Akteure. Verpackt in einer für Barbara Kiener typischen visuellen Sprache und performativen Ausdruck voller Poesie und Witz bringt die Künstlerin Abgründigkeiten in einen vielschichtigen Dialog.
Ein Höhepunkt der Ausstellung ist die Performance «Alpsegen», die im Satellit am Sa., 27.09.2025 um 18 Uhr live zu erleben ist – eine klangliche Beschwörung zwischen Schutzritual, feministischer Erzählung und akustischer Intervention. Zwischen Stofffragmenten und Performance treffen Tradition und Transformation aufeinander.
Begleitet wird die Ausstellung von Tinu Heinigers Erzählungen aus seiner Zeit des Heranwachsens, in der Sexualität und Gewalt leider zu oft unter den Teppich gekehrt wurden.
Text: Nurja G. Ritter